Die echte Wirklichkeit

Roman von Raphaela Edelbauers

Raphaela Edelbauers vierter Roman ist eine kluge, satirische und philosophisch tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wahrheit in einer Zeit der Fake News und alternativen Fakten. Im Zentrum steht die Aktivistengruppe Aletheia, die sich dem Kampf für die absolute Wahrheit verschrieben hat – mit teils radikalen Mitteln, darunter sogar eine Sprengstoffexpertin, obwohl nie Sprengstoff verwendet wird. 

Die Ich-Erzählerin Byproxy, eine junge Frau im Rollstuhl, stößt zu dieser Gruppe, nachdem sie aus dem betreuten Wohnen entlassen wurde. Sie lebt in Wiener Kaffeehäusern und wird von den philosophischen Diskussionen der Gruppe angezogen. In einem besetzten Haus durchläuft sie eine Art Initiation: tagsüber Toiletten putzen, abends Kant und Foucault lesen. Doch ihre Vergangenheit und ihre Schuldgefühle – etwa der wöchentliche Besuch bei der Mutter eines bei einem Unfall verstorbenen Mädchens – werfen Zweifel auf ihre Motive.

Edelbauer gelingt es, eine Aktivismussatire mit einem Spannungsplot zu verbinden. Die Figuren sind skurril und vielschichtig: ein dogmatischer Theoretiker, eine Alt-68erin mit Bombenbaukenntnissen, eine nervöse Milliardärstochter und ein entscheidungsunfähiger Ex-Student. Die Gruppe lebt in einem schimmelnden Abbruchhaus mit strengen Regeln – keine Milchprodukte, keine Zigaretten, keine persönlichen Gespräche.

Der Roman ist vielschichtig und kunstvoll erzählt, mit einem ironischen Ton, der die philosophischen Diskussionen auflockert. Die Frage nach der Wahrheit bleibt dabei stets zentral – und kompliziert. Edelbauer zeigt, wie subjektiv und manipulierbar Wahrheitsansprüche sein können, und stellt die Erzählerin selbst als unzuverlässige Figur dar.

 

Raphaela Edelbauer

wurde 1990 in Wien geboren und wuchs in Hinterbrühl (Niederösterreich) auf. Sie studierte Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien und später Philosophie an der Universität Wien. Heute lehrt sie selbst am Institut für Sprachkunst. 

Ihr literarischer Durchbruch gelang ihr mit dem Prosadebüt „Entdecker. Eine Poetik“, das 2018 mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Es folgten die Romane „Das flüssige Land“ (Shortlist Deutscher Buchpreis), „DAVE“ (Österreichischer Buchpreis 2021) und „Die Inkommensurablen“ (Longlist Deutscher Buchpreis 2023). 

Edelbauer ist bekannt für ihre intellektuell anspruchsvollen Romane, die oft philosophische und gesellschaftliche Themen behandeln. Sie schreibt auch für Theater und arbeitet mit zeitgenössischen Komponisten zusammen. Ihre Werke sind geprägt von einem spielerischen Umgang mit Sprache, tiefgründiger Reflexion und einem Hang zur Satire.